Der fast typische Verlauf vieler Beziehungen ist uns allen geläufig:
Nach der anfänglichen Verliebtheitsphase (bis zu mehreren Monaten) geht es bergab, meist nicht nur bis zum so genannten „Boden der Realität“, sondern tiefer in den Keller der Konflikte, der Probleme, der gegenseitigen Vorwürfe. Der Partner beginnt einen zu nerven, unschöne, aber hartnäckig wiederkehrende Gefühle und Eigenschaften der Beteiligten machen den anfänglichen Himmel zur Hölle. Und man fragt sich, wie konnte ich mich nur so täuschen? Die Krise ist da.
Hier folgt oft entweder die Trennung oder die Resignation, d. h. man richtet sich ein im Bestehenden. Etwas ganz anderes ist es, gemeinsam durch die Krise zu gehen und zu wachsen in diesem Prozess. Was braucht es dafür? Und vor allem: ist der beschriebene und so häufig vorkommende Absturz zwangsläufig? Wie lässt er sich vermeiden?

Wenn die Krise akut ist, bedarf es vielleicht erst einmal professioneller Unterstützung, um die Verstrickung(en) erkennen zu können, um die Situation zu entspannen und die Basis für ein Miteinander wieder zu bekräftigen (oder gegebenenfalls festzustellen, dass es keine gemeinsame Basis mehr gibt).
Um in unserer Analogie zu bleiben: Wenn unser Körper in einer akuten Krise ist, d. h., wenn wir ernstlich krank sind, gehen wir vernünftigerweise zum Arzt, um uns Unterstützung zu holen. Ansonsten tun wir gut daran, Vorsorge zu treffen, uns pflegend um unseren Körper zu kümmern, uns gesund zu ernähren, Sport zu treiben, ect.
Dasselbe gilt für die Beziehung. Sie ist eben nicht selbstverständlich so schön und gesund (wie am Anfang). Wenn sie zu sehr belastet wird, geht sie ein. Wir müssen uns pflegend um sie kümmern, müssen Vorsorge treffen, kleine Krisen entschärfen, bevor sie zu großen werden. Wie aber geht das?
Nach unserer Erfahrung gehört ganz wesentlich dazu:

1. die Grundannahme, dass jeder Mensch in sich vielschichtig ist und neben dem erwachsenen und bewussten Ich auch seine ganzen unter- oder unbewussten Seiten mit in die Beziehung bringt. Wenn zwei Menschen zusammenkommen, begegnen sich unter der bewussten Oberfläche auch zwei „Unterbewusstseine“.
Das Unterbewusste besteht (zu einem Teil jedenfalls) aus Gefühlen, die für die jeweilige Person nicht akzeptabel sind und die eben deshalb ins Unbewusste verschoben wurden.
Diese Gefühle haben mit dem aktuellen Partner überhaupt nichts zu tun. Sie sind alt. Sie stammen z. T. aus der Kindheit. Sie werden in der Beziehung jedoch aktiviert und auf den Partner projiziert (so kommt es ja auch immer wieder vor, dass wir selbst überrascht sind von manchen eigenen heftigen Reaktionen auf Äußerungen oder Verhaltensweisen des Partners). Und genau diese alten, in der Paarbeziehung jedoch wieder aktivierten Gefühle sind für viele Krisen verantwortlich.


2. die Bereitschaft und der Mut, die Gefühle, die da kommen, zu erforschen, offen dem Partner zu zeigen, zu „gestehen“ und zugleich die Verantwortung dafür zu übernehmen.
Das ist eine schwierige Übung (die auch erlernt sein will), aber sie lohnt sich: unschöne und unerwünschte Gefühle zu offenbaren als meine eigenen Gefühle, für die Du, mein Gegenüber, nicht verantwortlich bist.
Schwierig ist das deshalb, weil es sich bei diesen Gefühlen ja um bislang unbewusste Anteile handelt, d. h. ein innerer Schutzmechanismus sorgt(e) dafür, dass wir von diesen Gefühlen nichts wissen, dass wir sie nicht als unsere eigenen Gefühle wahrnehmen. Deshalb scheint es uns so, als ob unser Partner uns diese Gefühle „machen“ würde, d. h. in unserer Überzeugung ist er/sie schuld daran, dass wir so fühlen.
Andererseits können auch Gefühle in uns auftauchen, die wir einfach nicht zeigen wollen (schon gar nicht dem Partner), für die wir uns schämen und die wir deshalb verstecken. Wir haben Angst, dass der Partner sich vor uns fürchtet, uns verachtet oder gar verlässt, wenn er/sie uns so sieht. Das Gegenteil ist der Fall: die Beziehung scheitert, weil versteckte Gefühle unterschwellig wirken und keine Chance für eine Klärung besteht.

3. Das Schaffen von Räumen im Alltag, oder besser gesagt, von Freiräumen außerhalb des Alltags, die - ganz regelmäßig - reserviert sind für uns zwei, für Dich und mich, um unsere (obige) Übung durchzuführen und uns zu verwöhnen und Gutes zu tun.

Wenn wir uns auf diese Weise in der Beziehung ehrlich zeigen, wenn wir keine Mauern errichten um unsere „Geheimnisse“, um unsere dunklen Seiten, wenn wir nicht den Partner verantwortlich machen für unsere Gefühle, wenn wir ihm/ihr statt dessen erlauben, immer tiefer in unsere Seele zu schauen und wenn wir interessiert sind, immer tiefer die Seele unseres Gegenüber zu ergründen, dann muss Eros nicht flüchten, dann bleibt die Verbindung lebendig, dann erleben wir Freude, Erfüllung und Vergnügen und dann gehen wir auch unbeschadet durch die nächste Prüfung, weil wir sie nicht wahrnehmen als Krise, die einer von uns (meist der andere) verschuldet hat, sondern als eine weitere Wachstumsmöglichkeit für uns selbst.

Bernhard Fischer

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